Sonntag, 11. November 2018

Wir müssen reden!

Es ist Zeit, hier mal wieder politisch zu werden. Denn bringen wir es auf den Punkt: Die Welt ist in einem ziemlich beschissenen Zustand. Und das macht mir verdammt große Angst. Was vor ein paar Jahren noch undenkbar schien, ist traurige Realität geworden. Was mich daran am meisten verstört ist die Tatsache, dass es scheinbar normal geworden ist. Unbegreiflicherweise regt sich kaum noch jemand über die infantilen und oftmals auch gefährlichen Äußerungen von US-Präsident Trump auf. Man zuckt nur noch hilflos mit den Schultern. Und es ist nicht ganz abwegig zu sagen, ein Krieg scheint manchmal nur einen Tweet entfernt zu sein. Dabei müssen wir geografisch gar nicht so weit weg gehen. Auch in Europa gewinnt das Autoritäre wieder an Attraktivität für viele Menschen.
 
Warum es mir so wichtig ist, das hier noch mal zu thematisieren? In dieser Woche hatte ich quasi eine Begegnung der dritten Art. Ein Erlebnis, das symbolhaft war für alles, was momentan schief läuft. Vor dem Landtag formierte sich eine relativ überschaubare Gruppe, die gegen überhöhte Kommunalabgaben protestierte. Berufsbedingt war ich quasi mitten unter ihnen. Was ich sah? Überwiegend weiße, alte Männer, die ihren eventuell nachvollziehbaren Unmut in teilweise unverhältnismäßiger Wut zum Ausdruck brachten. Und einen Politiker der Landesregierung, der vielleicht das Richtige meinte, aber das Falsche zu den Menschen sagte. Zu missverständlich, unkonkret und nicht verbindlich genug. Die Diskussion war hitzig, aber (noch) respektvoll. Bis einer von den Demonstranten sagte: "Mir reicht's! Für den N* auf der Straße habt ihr doch auch das Geld." Kurze Stille. Sonst nichts. Niemand regte sich über diese rassistische Äußerung auf. Eine Politikerin der Linken meinte nur "Na, na, na - So nicht!", oder etwas Ähnliches. Das war die einzige Reaktion. Ja, auch ich hielt meinen Mund. Weil ich zutiefst schockiert war und ich mich als Mitarbeiterin nicht zu weit aus dem Fenster lehnen wollte. Das war feige und dafür schäme ich mich auch. Ich war überrumpelt von so viel Hass. Hoffentlich ging es den anderen auch so und es war keine stumme Zustimmung... Ich kenne die Hintergründe dieses Mannes nicht. Aber nichts, wirklich rein gar nichts, rechtfertigt solche Sätze! Es wurde schließlich weiter diskutiert und ein anderer Demonstrant ließ in einem Nebensatz einfließen, dass sie natürlich nicht alle so extreme Ansichten hätten. Ändern solle sich bitte trotzdem etwas. Als sich die Versammlung auflöste, lief ein Abgeordneter der AfD zu dem wütenden Mann und suchte das Gespräch mit ihm. Im Augenwinkel sah ich, wie er verständnisvoll mit dem Kopf nickte. Spätestens jetzt hatte er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine weitere Wählerstimme eingesammelt. Über die anderen Parteien dachte ich: Ok, wieder mal vergeigt.

Vor einer Weile startete ZEIT ONLINE die Initiative "Deutschland spricht" (Ähnliches gab es auch in Österreich und der Schweiz). Denn der Hauptgrund für die aktuell aufgeladene Stimmung, nicht nur hierzulande, ist vor allem die fehlende Kommunikation. Es wird nicht mehr argumentiert und diskutiert, sondern mit Behauptungen und Unterstellungen um sich geworfen. An dem Projekt beteiligten sich insgesamt elf Medienhäuser. Ziel der Kampagne war es, mittels Fragen und Algorithmus Menschen zusammenzubringen, die politisch völlig unterschiedlich denken und möglichst nahe beieinander wohnen. Teilnehmen konnte im Prinzip jede/r. Was dabei raus kam, ist erstaunlich. Denn in der Tat ist es so, dass es die größten Meinungsverschiedenheiten zwischen jungen Frauen und eben jenen weißen, alten Männern gibt. Oftmals ist es vielleicht sogar so, dass sich ein Horst Seehofer und ein eher konservativ eingestellter Migrant politisch näher stehen, als ich und ein muslimischer Flüchtling. Das ändert nichts an meiner Meinung in Sachen Asylpolitik und gibt doch Aufschluss über unser Gesellschaftsbild. In einem zusammenfassenden Dossier in der ZEIT schrieb der Journalist von seinem Selbstexperiment. Er sprach mit einer Vertreterin der Grünen Jugend, einem bekennenden Nationalsozialisten und einem Verschwörungstheoretiker. Und die aufschlussreichste Unterhaltung hatte er... mit dem Nazi. Dieser sei ehrlicherweise am wenigsten aggressiv ihm gegenüber aufgetreten, habe Fragen gestellt und zum Teil auch Verständnis gezeigt. Natürlich müsse man den Flüchtlingen helfen und sie aufnehmen. Nur eben bitte nicht in seiner Gemeinde. Denn dann würde er sie wahrscheinlich mögen, was schließlich sein Weltbild erschüttern würde. Und da sind wir auch schon an dem sprichwörtlich springenden Punkt: Das Fatale, was sowohl von Rechts wie auch von Links (!) passiert - Wir entmenschlichen zunehmend die "Gegenseite". Wir müssen uns aber auf den anderen einlassen, ihm zuhören und zumindest versuchen, seine Beweggründe zu verstehen. Andernfalls droht unsere Gesellschaft auseinanderzureisen. Und dafür können wir nicht allein die Politik verantwortlich machen. Ja, die AfD vergiftet mit ihren Parolen das politische Klima. Die anderen, nennen wir sie mal etablierten Parteien, haben dem nicht viel entgegenzusetzen. Sie versuchen es abwechselnd mit ignorieren, imitieren und attackieren. Nichts hilft. Aber das rechtsextreme Potential war schon vorher da. Jetzt hat es eben ein Ventil gefunden. Und so traurig das ist, wir müssen lernen, damit umzugehen und im besten Fall die Menschen davon überzeugen, dass eine nationalistische Politik in einer globalisierten und vernetzten Welt einfach keinen Platz hat.

Ich gebe zu, das ist verflucht schwer. Und für mich stellt sich am Ende schon auch die Frage: Was bringt es, wenn ich weiß, dass ein Nazi und ich beispielsweise unsere Vorliebe für London teilen, beide gerne italienisch essen und das offene Wasser der Bergwelt vorziehen!? Er bleibt doch trotzdem ein Nazi und an dem Punkt kommen wir einfach nicht zusammen.
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