"X-Mal anders. Ullrich-Turner-Syndrom! Ja, und?!" |
Das machte mich dann doch stutzig. Bin ich die Sache tatsächlich falsch angegangen? Soll ich über meine Krankheit schreiben? Es ist nicht so, dass es mir unangenehm ist, das Thema öffentlich zu machen. Ich habe schlicht und einfach überhaupt nicht daran gedacht. Es wäre mir wirklich nie in den Sinn gekommen. Mein Leben ist so normal und ohne jegliche Einschränkung - Zumindest empfinde ich das so. Aber vielleicht ist es eben doch wichtig. Um über die Krankheit zu informieren. Und um zu zeigen, wie man damit leben kann. Mit Sicherheit hat mich die Krankheit geprägt und neben vielen anderen Faktoren zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich habe das Ullrich-Turner-Syndrom (UTS).
Schlägt man das Krankheitsbild im Gesundheits-Brockhaus nach, so liest man teilweise erschreckende Symptome wie „Mongolenfalte“, „Zwergenwuchs“ und „nur im Erscheinungsbild weiblich“. Formulierungen, die absolut diskriminierend und in der Realität falsch oder zumindest unzureichend sind.
ULLRICH-TURNER-SYNDROM - Was ist das eigentlich?
Der genetische Plan sieht wie folgt aus: Der Mensch hat insgesamt 46 Chromosomen. Männer haben die Geschlechtschromosomen XY, Frauen dagegen XX. Bei einem von 2.500 geborenen Mädchen aber kommt es anders. Mädchen mit dem sogenannten Ullrich-Turner-Syndrom haben nur ein (funktionsfähiges) X - Es fehlt also ein Chromosom. Mittlerweile gibt es medizinische Tests, wie die Nackenfaltenmessung, bei denen man das UTS bereits in der Schwangerschaft feststellen kann. Erhalten werdende Eltern diese Diagnose, stürzt es sie oft in Ratlosigkeit. Eine richtige Behinderung? Ein Abtreibungsgrund? Die Symptome sind sehr unterschiedlich. Bestimmte körperliche Merkmale, hormonelle Störungen, manchmal auch Organschäden können mehr oder weniger ausgeprägt vorkommen. Zwei Symptome aber sind offensichtlich: Die Frauen können keine Kinder kriegen, da die Ovarien verkümmert sind, und sie bleiben klein. Die 1,50 Meter erreichen nur die wenigsten Betroffenen.
Leben mit UTS- Wie war bzw. ist das für mich?
Mit ungefähr drei Jahren wurde bei mir das UTS diagnostiziert. Meine Mama wusste von Anfang an, dass bei mir etwas nicht stimmt. Ich war ständig krank, habe mich von Lungenentzündung zur Angina geschleppt. Außerdem trug ich als Kleinkind immer noch meine Babysachen. Trotzdem sagte jeder Arzt nur "Ein kleiner Spätentwickler. Die wird schon noch." Irgendwann wusste mein damaliger Kinderarzt sich und vor allem uns aber nicht mehr zu helfen und sagte zu meinen Eltern "Packen sie die Kleine ein und gehen sie mit ihr rüber in den Westen. Ich kann nichts mehr für Sie tun." Schließlich wurde dann nach einigen Untersuchungen und Gentests endlich das Turner-Syndrom bei mir festgestellt. Relativ schnell haben sich meine Eltern für die Hormonbehandlung mit Granditropin entschieden. Ich war damals glaube ich knapp fünf Jahre alt und habe auch recht zügig gelernt, mich selbstständig zu spritzen. Meine Spielkollegen fanden das total "cool". Und insofern war es wohl die richtige Entscheidung, da es mir geholfen hat, überhaupt erst mal ein stabiles Immunsystem aufzubauen. Einmal pro Quartal musste ich mich in der Endokrinologie in Jena vorstellen. Hier wurde mir Blut abgenommen, einmal jährlich gab es einen großen Glukosetest und es wurde geschaut, wie ich mich entwickele. Mit 17 Jahren waren die Wachstumsfugen dann dicht und die Therapie somit beendet. Zusätzlich wurde mit 12 Jahren die Östrogentherapie mit Cycloprogynova eingeleitet. Die Behandlung war ein voller Erfolg: Ganz knappe 1 1/2 Meter bin ich groß geworden - Man kann nicht sagen, wie viel es ohne Therapie geworden wäre - Und bis auf einige wenige organische Sachen bin ich topfit.
Ich würde sagen, ich war und bin (äußerlich) kein typisches Turner-Mädchen - Außer dass ich eben immer etwas kleiner war als meine Klassenkameraden. Obwohl ich ein Jahr älter war als sie, da ich später eingeschult wurde. Es hat etwas gedauert, bis ich verstanden habe, dass der Spitzname "Mini Cooper" in der Schule wohl nicht im positiven Sinne an den Mittelklassewagen angelehnt war...
Auch wenn die eigentliche Therapie beendet ist, so gibt es natürlich immer wieder mögliche Begleiterscheinungen. 2010 musste bei mir beispielsweise ein schnell wachsendes Fibrom an der rechten Schulter operativ entfernt werden und 2014 wurde mittels einer Cyberknife-Bestrahlung ein Meningeom an den Hirnhäuten behandelt - Beide zum Glück gutartig. Es ist strittig, ob es einen direkten Zusammenhang mit dem UTS gibt. Natürlich kam dann in meiner Familie die Frage auf, ob die Entscheidung, die Hormontherapie zu machen, doch die falsche war. Auch wenn die Ärzte heutzutage die Behandlung mit den Wachstumshormonen nicht mehr als zwingend notwendig erachten, so war sie für meine Entwicklung unabdingbar. Es muss für meine Eltern unfassbar schwer gewesen sein, das für ihr Kind zu entscheiden. Zumal zur damaligen Zeit einfach viele Dinge auch nicht bekannt waren. Was etwas schade ist: Als ich nach der Behandlung in der Kinderklinik schließlich in "die Welt entlassen" wurde, standen wir etwas alleine da. Klar, ich gehe weiterhin zur Gynäkologin und zum Kardiologen, aber mein Eindruck ist, dass immer noch zu wenige Ärzte in der Materie stecken. Mir fehlt jemand, der das Gesamtbild im Auge hat.
Mein Rat an Eltern, die diese Diagnose für ihre Tochter erhalten? Gar keiner! Denn es wäre anmaßend. Jeder Fall ist unterschiedlich. Und so würde ich werdende Eltern nie verurteilen, die sich das nicht zutrauen oder meinen, ihrem Kind dieses Leiden nicht zumuten zu können. Den Eltern, die sich für ein Leben mit dem UTS entscheiden, kann ich aber nur empfehlen (Das gilt natürlich für alle Kinder): Gebt eurer Tochter Selbstvertrauen mit auf den Weg!
Was genau die Ursache für die Genmutation ist, ist nicht klar. Letztlich ist es ja auch egal, ändern kann man es eh nicht. Und aus mir ist auch mit dem Turner-Syndrom "etwas" geworden. Ich habe Politik studiert, anschließend im Bundestag in verschiedenen Abgeordnetenbüros gearbeitet und bin inzwischen Referentin im Thüringer Landtag. Da ich schon sehr früh wusste, dass ich mein persönliches Glück nicht in Kind und Kegel finden werde, konzentriere ich mich voll und ganz auf meine "Karriere". Und ich kann sagen: Das Turner-Syndrom gehört zu meinem Leben, aber es bestimmt ganz gewiss nicht meinen Alltag.
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